23.08.2024
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Anlass: Beabsichtigte Einstufung von Ethanol als CMR (karzinogen, mutagen, reproduktionstoxisch) durch die EU/ECHA
Derzeit gibt es einen Vorschlag bei der EU, Ethanol als reproduktionstoxisch Kategorie 2 im Rahmen der Biozid-Verordnung (Verordnung EU Nr. 528/2012) einzustufen. Diese Einstufung könnte bereits Anfang 2025 erfolgen, wobei auch eine Höherstufung als CMR Kat. 1 möglich wäre. Dies hätte massive Verwendungsbeschränkungen – z.B. bei Händedesinfektionsmitteln - zur Folge.
Einstufung von Ethanol durch die IARC
2010 hat die International Agency for Research on Cancer (IARC) der WHO den Genuss von Alkohol/Ethanol bewertet. Danach ist Ethanol reproduktionstoxisch und teratogen und ruft verschiedene Krebserkrankungen beim Menschen hervor (Mundhöhle, Pharynx, Larynx, Ösophagus, Leber, Colorectum und weibliche Brust). Sowohl alkoholische Getränke als auch Ethanol in alkoholischen Getränken wurden als Gruppe 1-Kanzerogen klassifiziert.
2012 hat die IARC erneut den Alkoholkonsum bewertet und die vorherigen Einstufungen bestätigt. Besonders hingewiesen wurde auf den erheblichen Einfluss des Enzympolymorphismus.
Die Konzentration der IARC auf die orale Aufnahme von Ethanol muss dahingehend interpretiert werden, dass nach Ansicht der IARC der inhalativen wie auch dermalen Aufnahme keine Bedeutung zukommt.
Regelungen für Ethanol durch die MAK-Kommission
In der aktuellen MAK-Liste (DFG 2024) ist für Ethanol ein MAK-Wert von 200 ml/m3 bzw. 380 mg/m3 angegeben. Ethanol ist in Schwangerschaftsgruppe C (Eine fruchtschädigende Wirkung ist bei Einhaltung des MAK‐ und BAT-Wertes nicht anzunehmen), Kanzerogenitätskategorie 5 (Stoffe, die bei Tier oder Mensch Krebs erzeugen oder als krebserzeugend für den Menschen anzusehen sind und für die ein MAK-Wert abgeleitet werden kann. Im Vordergrund steht ein genotoxischer Wirkungsmechanismus) und Keimzellmutagenitätskategorie 5 (Keimzellmutagene oder Verdachtsstoffe, deren Wirkungsstärke als so gering erachtet wird, dass unter Einhaltung des MAK‐ und BAT‐Wertes ein sehr geringer Beitrag zum genetischen Risiko für den Menschen zu erwarten ist) eingestuft. Letzteres resultiert laut MAK-Begründung (2018) aus Studien nach oraler Aufnahme.
Die MAK-Kommission weist darauf hin, dass Ethanol auch endogen gebildet wird (so auch die IARC 2012). Der aktuelle MAK-Wert wird damit begründet, dass er im Bereich der endogenen Bildung liegt. Die Aufnahme über die Haut ist gering.
Alkoholische Händedesinfektionsmittel sind unverzichtbar
In Deutschland sind alkoholische Händedesinfektionsmittel Standard seit den 1950er Jahren. Sie haben sich aber auch weltweit durchgesetzt und sind heute Standard selbst in muslimischen Ländern (Allegranzi et al. 2013, Hübner et al. 2018).
Eine der ersten und wichtigsten Studien erschien 2000 im Lancet (Pittet et al. 2000): Beim Einsatz alkoholischer Händedesinfektionsmittel einschl. Schulung konnte die Compliance mit der Händedesinfektion von 48 % auf 66 % gesteigert werden, die Prävalenz nosokomialer Infektionen konnte von 17 % auf 10 % gesenkt werden. Alkoholische Händedesinfektionsmittel schützen also die Patienten. Sie schützen auch die Mitarbeiter, da Alkohole die größten Risiken für die Mitarbeiter – Hepatitis-Viren und HIV – abtöten.
Ethanol in Händedesinfektionsmitteln ist unverzichtbar
Ethanol wird neben 1- und 2-Propanol als Wirkstoff in Händedesinfektionsmitteln eingesetzt. Ethanol wird von der WHO zu den unverzichtbaren Arzneimitteln gezählt. Dies liegt auch daran, dass Ethanol gegen bestimmte Viren – z.B. Adenoviren, Poliovirus, humane Enteroviren, Echoviren und verschiedene Coxsackieviren - stärker wirksam ist als die Propanole (VAH 2020, Kramer et al. 2022).
Die durch Händedesinfektion aufgenommenen Mengen Ethanol liegen unterhalb toxikologisch relevanter Konzentrationen. Nur 1-2 % des auf die Haut aufgebrachten Ethanols werden aufgenommen, innerhalb weniger Sekunden verdunstet die Hälfte des Ethanols. Dagegen wird Ethanol nicht nur endogen gebildet, sondern kann auch über Lebensmittel – z.B. Fruchtsäfte – aufgenommen werden (VAH 2020).
Eine Einstufung von Ethanol als reproduktionstoxisch oder gar kanzerogen (außerhalb der oralen Aufnahme) ist nicht gerechtfertigt
Sämtliche Einstufungen von Ethanol als potentiell reproduktionstoxisch oder kanzerogen resultieren ausschließlich aus der oralen Aufnahme. Andere Aufnahmewege (inhalativ, dermal) resultieren unter realen Bedingungen im Gesundheitswesen in Blutspiegeln, die im Hintergrundlevel (endogene Bildung, Aufnahme über Lebensmittel) liegen.
Eine Einstufung von Ethanol als reproduktionstoxisches oder gar kanzerogenes Biozid würde Mitarbeiter wie auch Patienten im Gesundheitswesen gefährden, da es in seiner Wirksamkeit alternativlos ist. Die EU müsste sich dann den Vorwurf gefallen lassen, gegen die Interessen ihrer eigenen Bürger zu handeln.
Literatur:
Allegranzi, B. et al: Global implementation of WHO´s multimodal strategy for improvement of hand hygiene: a quasi-experimental study. Lancet Infect Dis 2013, 13, 843-851
DFG: MAK-Werte-Begründungen 1998, 2002, 2018
DFG: MAK- und BAT-Werte-Liste 2024.
Hübner, N.-O. et al: Haben wir seine Botschaft verstanden? – Ein Abriss zur Geschichte der Händehygiene anlässlich des 200. Geburtstages von Ignaz Philipp Semmelweis. Epidem Bull 2018, 3. Mai, Nr. 18
IARC: IARC monographs on the evaluation of carcinogenic risks to humans. Alcohol consumption and ethyl carbamate. Volume 96. Lyon 2010
IARC: IARC monographs on the evaluation of carcinogenic risks to humans. Personal habits and indoor combustions. Volume 100 E. Lyon 2012
Kramer, A. et al: Ethanol is indispensable for virucidal hand antisepsis: memorandum from the alcohol-based hand rub (ABHR) Task Force, WHO Collaborating Centre on Patient Safety, and the Commission for Hospital Hygiene and Infection Prevention (KRINKO), Robert Koch Institute, Berlin, Germany. Antimicrobial Resistance & Infection Control 2022, 11, 93
Pittet, D. et al: Effectiveness of a hospital-wide programme to improve compliance with hand hygiene. Lancet 2000, 356, 1307-1312
VAH: Ethanol ist als biozider Wirkstoff zur hygienischen Händedesinfektion unverzichtbar. Hyg Med 2020, 45, 194-200
23. August 2024